4.1 TimeCredits
Die Entscheidung für den Begriff TimeCredit ist bewusst gewählt und pädagogisch motiviert. Sie verweist auf ein Konzept, das viele Schüler*innen spätestens mit Beginn eines Studiums wieder begegnet – die Vergabe von Credits im Rahmen eines modularisierten Studiensystems. In diesem System ist das akademische Lernen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal in eigenständige Module gegliedert, denen jeweils ein definierter Arbeitsumfang zugeordnet ist. Für jedes erfolgreich absolvierte Modul erhalten Studierende sogenannte Leistungspunkte (ECTS-Credits), die sich im Laufe des Studiums zu einem individuellen Kompetenzprofil verdichten.
Mit dem TimeCredit-System greifen wir diese Denkweise bewusst auf – und übertragen sie in didaktisch angepasster Form auf den schulischen Kontext. Der Begriff „Credit“ steht hier nicht für akademische Leistung im engeren Sinne, sondern für verantwortlich eingesetzte Zeit im Rahmen der Berufs- und Studienorientierung. Die Schüler*innen erhalten für jede absolvierte Aktivität eine klar definierte Zahl an TimeCredits – als Ausdruck ihrer Auseinandersetzung mit berufsbezogenen Fragestellungen, als Zeichen für investierte Zeit und Energie, und als Nachweis einer bewussten individuellen Entscheidung.
Diese Begriffswahl ist mehr als eine formale Anlehnung. Sie soll den Jugendlichen deutlich machen, dass sie sich in einer Übergangsphase zwischen Schule und Studium bzw. Berufsausbildung befinden – und dass von ihnen zunehmend die Kompetenzen erwartet werden, die auch in der Hochschulbildung oder beruflichen Ausbildung zentral sind: eigenverantwortliche Planung, Zielklarheit, Disziplin, Reflexionsfähigkeit und Durchhaltevermögen.
Indem wir „Credits“ nicht nur als Symbol für erfüllte Verpflichtungen, sondern auch als Ausdruck persönlicher Schwerpunktsetzung verstehen, verschieben wir den Fokus weg von einer passiven Teilnahme an Pflichtveranstaltungen hin zu einer aktiven Gestaltung eines individuellen Lern- und Orientierungsprozesses. Die Schüler*innen stellen sich aus einer Vielzahl von Angeboten ihr persönliches BSO-Programm zusammen. Sie reflektieren, welche Formate für sie relevant sind, wie viel Zeit sie investieren möchten – und welche Entscheidungen sie im Lichte dieser Erfahrungen treffen wollen.
Die zusätzliche Komponente „Time“ im Begriff „TimeCredit“ hebt hervor, dass hier nicht Ergebnisse, sondern prozessorientiertes Engagement im Mittelpunkt steht. Es geht nicht um Leistung im Sinne von Noten, sondern um Zeit, die bewusst in die persönliche Zukunftsgestaltung investiert wird. Die Jugendlichen lernen, dass Zeit eine Ressource ist – und dass es eine Kompetenz ist, diese Ressource sinnvoll und zielgerichtet einzusetzen. Auch hierin spiegelt sich eine zentrale Erfahrung der Erwachsenenwelt wider, in der Planung und Prioritätensetzung zum Alltag gehören.
Um den Anforderungen des teilgebundenen Ganztags sowie der schulischen Berufs- und Studienorientierung gerecht zu werden, müssen die Schüler*innen im Verlauf des Schuljahres mindestens 100 TimeCredits (TC) erwerben. Diese TimeCredits setzen sich aus der Teilnahme an vielfältigen Formaten zusammen – sowohl aus fix terminierten Angeboten (#BSO10FIX) als auch aus flexibel gestaltbaren Aktivitäten (#BSO10FLEX), wobei jeweils sowohl obligatorische als auch fakultative Bestandteile eingebunden sind. Die Schüler*innen gestalten ihren individuellen BSO-Fahrplan eigenverantwortlich und dokumentieren ihre Teilnahme kontinuierlich. Die Erfüllung der TimeCredit-Anforderung dient nicht nur als verbindlicher Nachweis im Rahmen des Ganztagskonzepts, sondern unterstützt gleichzeitig eine strukturierte Auseinandersetzung mit der eigenen Bildungs- und Berufsbiografie.
Zusammengefasst: Der Begriff „TimeCredit“ steht für ein schulisches Format, das sich an der Logik von Studien- und Ausbildungsprozessen orientiert, aber zugleich eine pädagogisch begleitete Brücke dorthin schlägt. Er ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels – weg von der Fremdsteuerung hin zur Selbstverantwortung, weg von vereinzelten Pflichtformaten hin zu einem modularisierten System individueller Schwerpunktsetzung, weg von einer engen Definition von Leistung hin zu einem weiten Bildungsbegriff, in dem Orientierung, Erfahrung und Entscheidung gleichwertig neben Wissen und Können stehen.